Sulz a.N.-Glatt
Und zum Tode läuten die Kirchenglocken
Südwest-Presse Horb 29.08.2017
von Margita Manz
Der Mammon, die Gefräßigkeit, die Frevelhaftigkeit: Das Wasserschloss Glatt war eindrucksvolle Kulisse für die Aufführung des „Jedermann“ der Chamaeleon-Theaterwelten.
Fotos: Margita Manz
Im Jahr 1911 wurde das Theaterstück „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal erstaufgeführt – aber auch heute noch können Menschen ihre Lehre aus seinem Inhalt ziehen.
Dies bewies unter rauschendem Beifall „Das Chamaeleon“, Theaterwelten aus Horb, unter der Regie von Dorothee Jakubowski bei ihrer Inszenierung im Schlosshof des Wasserschlosses Glatt am Sonntagabend. Das Rund war voll bestuhlt und auch voll besetzt, so ergab der Schlosshof ein tolles Ambiente für die ergreifende Aufführung. Wieder hatten das Stück und die Akteure von „Chamaeleon Theaterwelten“ Besucher aus Nah und Fern angelockt.
Nichts von allem bleibt
„Als Gott sieht, wie wenig auf Erden nach menschlichen Werten gelebt wird, schickt er den Tod zu Jedermann“, heißt es. Das Leben und Sterben des protzig-reichen Schönlings und Wichtigtuers Jedermann, erzählt und aufgeführt in der heute altertümlich klingenden Sprache des 15. Jahrhunderts, erforderte konzentriertes Zuhören. Die Schlossmauer und der gesamte Hof ergaben eine Freilichtbühne, die dem Stück bei Kerzenlicht zur Ehre gereichte.
Mit der einbrechenden Dunkelheit verstärkte sich das mystische Geschehen zunehmend. Aus der Dunkelheit kamen aus den verschiedensten Ecken die Akteure, geschlichen oder gerannt, befohlen oder nicht unbedingt erwünscht. Dadurch wurde der gesamte Schlosshof zum direkt erlebbaren Bühnenbild.
Jedermann treibt es mit seiner Gespielin in der Handlung frevelhaft bunt, fast zotig. Ihm gehört anscheinend alles und jeder auf der Welt. Warnungen, tugendhafter zu leben, schießt er in den Wind, was kann einem 40-Jährigen, der kerngesund ist und unendlich viel Geld hat, schon passieren?
Wenn der Tod aber anklopft, kann er genauso viel dagegen machen, wie eben „Jedermann“. Als er erkennen muss, dass nichts von dem, was er hat und ist, bleibt, holt es ihn von der Überholspur des Lebens schnell auf den staubigen Boden zurück. Vorher von tollen Freunden, gefräßigen Familienmitgliedern und geschäftigen Beratern umgeben, steht Jedermann auf einmal sehr alleine da.
Er trotzt dem Tod eine einzige Stunde ab, in der er sein Schuldbuch auf Vordermann bringen soll und in der er jemanden finden muss, der seinen letzten Weg mit ihm geht.
Alle wenden sich ab, aus dem Vollen wird das Stille. Stimmen, Klänge und Rhythmen nehmen den Zuhörer gefangen.
Die tragische Figur des „Mammon“ zeigt gleich auf fünf Rollen verteilt, was für den Einzelnen eben dieser Mammon bedeuten kann. Das schrille Geschehen um Jedermann wird, wie im richtigen Leben, sehr schnell leiser und verstummt bald ganz. Melancholie wird als Trockenheit im Hirn dargestellt und zeigt, dass im Gegensatz zur doppelten Lebenslust im Zweifelsfall nichts von allem übrig bleibt. Nur die guten Werke und sein Glaube können ihm helfen.
Unvergessliches Erlebnis
Pünktlich, wie bestellt, setzten die Kirchenglocken in Glatt zum Todeszeitpunkt von Jedermann um 22 Uhr ein, was das theatralische Ambiente noch krönte. Mit viel Applaus wurden die Akteure nach einem unvergesslichen Erlebnis der Theaterkunst verabschiedet.