Ein Vorbericht von Mathias Huckert , Schwäbisches Tagblatt, 11.09.2108
Kunst
Sechs Kurzfilme erzählen von Lieblingsorten in den Horber Ortsteilen. An den Drehs beteiligt waren neben fünf Künstlern auch viele der Bewohner selbst.

Zum vierten Mal gibt Klaus Dietl das Zeichen: Bereit zum Drehen. Als die Kamera läuft, öffnet die elfjährige Katharina Wagner den Koffer auf ihrem Schoß, und der Kamin, in dem sie im Schneidersitz Platz genommen, erstrahlt in hellem Glanz. Während sie zusammen mit Doro Jakubowski den Text der Szene spricht, wird jedem im Dettinger Schloss klar: Das ist die bisher beste Aufnahme der Szene – denn diesmal haben Licht, Lautstärke und vor allem die Darsteller perfekt harmoniert. Dass das so schnell geklappt hat, ist nicht selbstverständlich: Einen Dreh in einem nahegelegenen Waldstück an der Dettinger Ortsgrenze haben Katharina und ihre zwei Jahre ältere Schwester Julia bereits hinter sich. Der hatte vier Stunden gedauert – und nach dem Abstecher ins Schloss ihres Heimatsorts Dettingen wartet noch die letzte Szene für heute im Gasthof Adler.
Man ist weniger aufgeregt, muss aber ständig darauf achten, in welchem Winkel man zur Kamera steht.
Julia Wagner (13), über ihre Erfahrungen vor der Kamera.
Für Katharina und Julia Wagner ist es die Chance, ihrer Heimat ein filmisches Denkmal zu setzen. Auch wenn für Julia Wagner der Einsatz vor der Kamera erstmal ungewohnt war: „Man ist zwar weniger aufgeregt, muss aber dafür ständig darauf achten, in welchem Winkel man zur Kamera steht. Und es ist natürlich wichtig, dass die Kostüme optimal sitzen“, erzählt die Jungschauspielerin. Jede Menge Hilfe bekommen die Geschwister von Stephanie Müller und Klaus Dietl. Die beiden Bewohner des Antonie-Leins-Künstlerhauses in Horb realisieren mit zahlreichen Bürgern der verschiedenen Ortsteile von Horb ein Kurzfilm-Projekt, das den Namen „Flecken“ nicht zufällig trägt: „Es geht darum, sechs Lieblingsorte und Reizpunkte von Horb im Austausch mit ihren Bewohnern filmisch darzustellen“, verrät Müller, während sie in einer Drehpause Julia Wagners Kleid richtet. Zusammen mit Diet Rahlfs, Karla Kreh und Elisabeth Anna-Maria hatten die beiden Künstler sechs Filmprojekte geplant, die im Frühjahr und Sommer entstanden sind.
Aufwendige Nachbearbeitung
Jedes einzelne Filmprojekt sieht unterschiedlich aus. Eines entstand mit einer 76-jährigen Horberin, die durch eine Zeitungsannonce auf „Flecken“ aufmerksam wurde. „Da gab es zunächst eher zurückhaltenden Kontakt“, verrät Klaus Dietl, der im Projekt unter anderem Kameramann, Regisseur, Lichttechniker und Cutter in Personalunion verkörpert. Andere „Flecken“ fanden sich im Horber Artpark oder einer Insel im Neckar bei Mühlen. Dass da nach dem eigentlichen Dreh noch viel Arbeit vor dem kleinen Team liegt, wird schnell deutlich. Als sie etwa ein vierminütiges Musikvideo zu Julia Wagners eigenem Song „Search“ aufnahmen, fiel bei der Sichtung des Materials auf: Ein Radfahrer hatte sich an einer Stelle ins Bild geschlichen – also musste Klaus Dietl den unfreiwilligen Statisten Bild für Bild aus dem Video entfernen.
Ein Herzensprojekt also – deshalb ist auch Doro Jakubowski, die Leiterin von „das chamaeleon – Theaterwelten“ mit dabei. Mit ihrer Hilfe konnten die Künstler auf die Förderung des Landesverbands Freie Tanz- und Theaterschaffende Baden-Württemberg (LaFT) zurückgreifen. Weitere lokale Unterstützer sind die Stadtverwaltung, die Horber Volksbank, die Kreissparkasse und die Landesbank. Auch das Landratsamt Freudenstadt hat den Künstlern geholfen. Diese Beteiligung beweist: Auch in Horb ist Raum für kreative Filmemacher und solche, die erste Erfahrungen vor oder hinter der Kamera sammeln wollen. Im Fall der Dettinger Geschwister Katharina und Julia Wagner wurde genau das erreicht. Mit der Hilfe von Doro Jakubowski, die beide Dettingerinnen schon seit ihrer Zeit als Theaterpädagogin kennt, wurde aus dem selbstgeschriebenen Theaterstück der elfjährigen Katharina ein Drehbuch – und das Mädchen findet sich beim Dreh im Kamin des Dettinger Schlosses wieder. Der fungiert als provisorisches Internatszimmer – und Katharina Wagner schlüpft in die Rolle der cleveren Melanie, die von ihrer Mutter ins Internat geschickt wird und sich dort auf die Suche nach dem Guten macht. Unterstützt wird sie dabei von ihrer Schwester, die eine Mitschülerin spielt.
Verstärkung aus Belgien
Prominent besetzt ist die Rolle eines berühmten britischen Detektivs, der standardmäßig mit Pfeife der typischen Deerstalker- Mütze auf dem Kopf unterwegs ist: Ortsvorsteher Josef Nadj gibt im Film von Katharina Wagner den Sherlock Holmes. Laut Stephanie Müller brauchte es nicht lange, um den Kommunalpolitiker für den Part zu gewinnen: „Wir fanden einfach, dass er optisch gut reinpasst, also haben wir gefragt.“ Gebeten hatten die Künstler auch nach internationaler Hilfe – und die Resonanz war auch dabei positiv: Für den Ton der Filme zeichnet sich der Belgier Roderik Vanderstraeten verantwortlich, den Stephanie Müller und Klaus Dietl im „Kunstort Eleven artspace“ in Starzach kennengelernt hatten. Die Filme kommen am Ende alle auf eine Länge von 13 bis 15 Minuten. Gezeigt werden sie am Samstag, 15. September um 18 Uhr im Antonie-Leins-Künstlerhaus in Horb. Ebenfalls geplant ist eine Live-Performance, bei der Film und Schauspiel miteinander verbunden werden. Stephanie Müller hat bereits eine Vorstellung davon, den „Flecken“ vor Ort Leben einzuhauchen: „Mit einem selbstgebastelten Projektor könnte man etwa im Schloss in Dettingen den Film abspielen“, verrät sie.
Ein Trailer zu den Horber „Flecken“ ist unter folgendem Link zu sehen: goo.gl/y1KEsa