Horb
"Chamaeleon-Theaterwelten" live auf dem Marktplatz
Neckar-Chronik Horb ,13.07.2015
von Willy Bernhardt
Auch in Horb trifft es Jedermann
Die Aufführungen von Dorothee Jakubowskis Dettinger „Theaterwelten“ haben für das bisherige Open-Air-Glanzlicht in Sachen Kultur im Horb des Jahres 2015 gesorgt.
Foto: Karl-Heinz Kuball
Die beiden „Jedermann“-Aufführungen am Samstag und am gestrigen Sonntag waren auch dadurch bemerkenswert, dass sowohl die Marktplatz-Kulisse als auch die Marktplatz-Anwohner in die Handlung des Klassikers von Hugo von Hofmannsthal mit einbezogen wurden.
Das Mysterienspiel „Jedermann - vom Sterben des reichen Mannes“ wurde 1911 in Berlin uraufgeführt und war nach den beiden Premiere-Veranstaltungen vor drei Wochen in Dettingen am Wochenende nun auch in Horb zu Gast, und zwar in dessen guter Stube, direkt auf dem Marktplatz. Und die Zeitlosigkeit dieses Klassikers faszinierte auch die vielen Gäste, die sich am Samstag zum Marktplatz aufgemacht hatten. Dort hatte die Marktplatz-Initiative um Sprecher und Bäckermeister Helmut Kipp, Schreinermeister Bruno Raible und Georg Djuga von der „Wein-Flaschnerei“ mit Ständen für ein angenehmes Ambiente gesorgt und wurde von Dorothee Jakubowskis Team kurzerhand live in die Handlung mit eingebunden.
Genau so wie das Horber Rathaus selbst, für das Alt-Stadtrat Kurt Schmid (CDU) sogar offiziell die Schlüssel-Hoheit übertragen bekommen hatte.
Das Stück spielt im 15. Jahrhundert und handelt vom reichen Herrn Jedermann (von Andrejas Schnell bravourös verkörpert), der im Angesicht des Todes sein ausschweifendes und gottesfernes Leben bereut. Er tut Buße und ihm wird daraufhin Gottes Gnade zuteil. Gott beklagt aber, dass die Menschen sich von ihm abgewandt haben. Er beauftragt den Tod (von Regisseurin Dorothee Jakubowski beängstigend real gespielt) damit, Jedermann zu holen und ihn vor das göttliche Gericht zu bringen. Gleich in der Eingangsszene wird deutlich, dass mit Jedermann auch Jedermann und somit auch die Horber gemeint sind. Mit Jedermann soll ein Exempel statuiert werden als Mahnung für die Menschen.
In einem Monolog prahlt Jedermann mit seinen Reichtümern. Mit einem Sack voll Geld ausgestattet, geht er mit seinem Gesellen los, um sich ein Grundstück anzusehen. Dort soll ein Lustgarten für seine Geliebte (Rosa Maria Paz, die gleichzeitig auch Schuldknechts Weib, die Buhlschaft und die guten Werke beeindruckend mimt) entstehen. Unterwegs begegnen sie einem verarmten ehemaligen Nachbarn, der eindringlich um eine Gabe bittet, die ihm einen Neuanfang ermöglichte. Jedermann speist den Mann mit einem Schilling ab. Ein Schuldner Jedermanns in Gewahrsam zweier Gerichtsdiener (einer davon Künstlerin Monika Golla) – erscheint, gefolgt von Frau und Kindern in Lumpen. Der Verhaftete bitte Jedermann, ihm die Schulden zu erlassen und ihm so den Kerker zu ersparen. Jedermann weist jegliche Verantwortung von sich und geht auch nicht aufs Flehen von dessen Frau ein. Er erklärt sich aber immerhin bereit, künftig für den Unterhalt der Frau und der Kinder aufzukommen.
Jedermann vergeht die Lust am Lustgarten-Kauf. Der Geselle solle es richten. Stattdessen trifft er seine Mutter, die ihn zu einem gottesfürchtigen Leben ermahnt, da er trotz seiner 40 Jahre jederzeit mit Tod und Gericht rechnen müsse. Gleich darauf erscheint Jedermanns junge Geliebte, versichert ihm ihre Liebe und führt ihn ins Haus an die große Festtafel, wo er die Gäste begrüßen soll, es stattdessen aber zum öffentlichen Liebesspiel kommt. Die Gäste sind befremdet und werden beim Auftauchen des Todes in Schrecken versetzt. Jedermanns Totenglocken läuten. Eine Stimme, die nur er vernehmen kann, ruft ihn bei seinem Namen. Der Tod will ihn gleich mitnehmen, doch Jedermann fühlt sich nicht gerüstet für das göttliche Gericht und bittet um Zeit. Der Tod gewährt eine Stunde Aufschub, in der Jedermann jemanden finden will, der ihn vors Gericht begleitet. Niemand reißt sich darum. Das Mysterienspiel nimmt seinen bitteren Verlauf ...
Bemerkenswert an der Horber Inszenierung ist, dass die Figur Jedermann alle Figuren des Stückes in sich trägt und jede Figur ein Teil des Ganzen, mit unterschiedlicher Reife und Sichtweise ist. Dies gibt wiederum die Möglichkeit einer vielschichtigen Reflexion übers eigene Handeln und der eigenen Denkweise. Ein Potential, das es zu erkennen und zu nutzen gilt. So ist in der Horber Bearbeitung von Jedermann auch jeder neue Augenblick die Chance einer tiefgreifenden Veränderung oder die Möglichkeit zum Perspektivwechsel.
Die Figur des „Mammon“ ist in gleich fünf Rollen aufgeteilt, so dass alle Zuschauer ihren „ganz persönlichen Mammon“ finden können. Dies findet sowohl im Spiel wie auch in den kunstvoll von Frank Surgalla aus Empfingen gefertigten Kostümen seinen Ausdruck. Und dann noch die Klänge dazu, für die selbstverständlich Monika Golla verantwortlich zeichnet. Sie läuten den Wendepunkt im Leben Jedermanns ein: Das Volle, Laute wird zum Stillen. Die innere Leere wird zum Vollen. Golla bindet dabei Stimmen, Klänge und Geräusche aus der unmittelbaren Umgebung des Marktplatzes ins Stück ein und spürt dabei diesem Prozess nach.