Schloss Glatt
Theater über Weltuntergang: „Die Menschen sind taub und blind“
Südwest-Presse Sulz 04.09.2023
von Jochen Stöhr
Mit der Freiluft-Aufführung des Stücks „Das Lied von der Erde“ im Glatter Schlosshof brachte das Ensemble Tiefgang und Humor unter einen Hut.
Zwei weitere Aufführungen des Theaterstücks „Das Lied der Erde“ faszinierten vor der Kulisse des Wasserschlosses in Glatt.
Das Theaterstück, das beim „Horber Brückensommer“ im Juli seine Premiere feierte, ist angelehnt an das 1936 uraufgeführte „Der Weltuntergang“ von Jura Soyfer. Der österreichische Literat wurde 1912 im russischen Kharkow, dem heutigen (ukrainischen) Charkiw geboren. 1920 musste seine Familie vor den Bolschewiken nach Wien fliehen und 1939 starb er im KZ Buchenwald. „Jura Soyfer hat sein Stück in den dreißiger Jahren geschrieben, und damit seine Angst vor dem Weltuntergang – in seinem Fall Adolf Hitler – geäußert“, so Andreas Schnell, der das Stück zusammen mit Regisseurin Dorothee Jakubowski bearbeitet hat.
Die Geschichte wiederhole sich, auch heute, 90 Jahre nach Soyfer, gibt Schnell zu bedenken.
Doch am Schluss siegt nicht das Unheil, sondern die Hoffnung und die Liebe. Das kommt in dem Stück zum Ausdruck. Das Ensemble von „Chamaeleon-Theaterwelten“ hat das Stück in das Jahr 2023 übertragen und aktuelle Entwicklungen wie die Klimabewegung („Nature for Future“), die Macht der Influencer sowie der Mode- und Finanzwelt mit eingebunden.
Etwas stimmt nicht mit der Erde
Der Schauplatz der Eingangsszene ist der Kosmos. Die Planeten und die Sonne (Magdalena Rau) sind sich einig: Etwas stimmt nicht mit der Erde. Die Sphärenharmonie ist gestört. Es muss gehandelt werden. Der Mond (Swen Richter) rückt nach einigem Zögern mit der Sprache raus. Das Problem ist: „Die Erde hat Menschen. Sie sind eigensinnig, hektisch, laut – manchmal auch nachdenklich“, sinniert der alte Mond. Der Komet Konrad – mitreißend gespielt von Regisseurin Dorothee Jakubowski – wird deshalb zur Erde geschickt, um die Sphärenharmonie zu retten, sprich, die Welt vom „Ungeziefer Mensch“ zu säubern.
Doch der Erdtrabant hegt seine Zweifel. Er selbst habe auch schon mal „Menschen gehabt“. Diese seien aber von alleine wieder gegangen. Es bleibt jedoch dabei. Konrad muss zur Erde. Letzterer bleibt also nur noch ein (Erd-)Monat Zeit, bevor der Weltuntergang eintritt. Die Menschen gehen unterschiedlich mit diesem drohenden Szenario um – fast durchgängig jedoch mit Ignoranz und eigennützigem Handeln. Sie wollen Geschäfte machen, investieren in Weltuntergangs-Anleihen mit fünf Prozent Zins oder ziehen politischen Nutzen daraus.
Nur Professor Guck (Andreas Schnell) möchte die Welt mit einem selbst erfundenen Wunderwerk der Technik vor dem Untergang retten. Dabei stößt der Wissenschaftler („die Menschen sind taub und blind“) bei Politikern, Behörden und Bürgern fast durchgängig auf verschlossene Türen. „Mit uns an der Regierung muss sich niemand vor dem Weltuntergang fürchten“, so eine der Politikerinnen (Monika Bugala). „Was tragen Sie zum Weltuntergang?“, fragt dagegen die Modebranche und stellt ihre neue futuristische Kollektion vor. Rosa Maria Paz und Jakubowski überzeugten hier mit wechselnden Outfits als exzentrische Modedamen zu elektronischen Klängen. Überhaupt mussten die Darsteller häufig in neue Rollen und Kostüme schlüpfen, was ihnen hervorragend gelang.
Überraschende Wendung
Das Schloss Glatt, auf dem eine überdimensionale Uhr projiziert wurde, bildete zudem eine tolle Kulisse. Dass es gegen Ende des Stücks eine kleine Lichtpanne gab und die Szenerie etwas dunkler war als vorher, passte eigentlich ganz gut zur Dramatik der Geschichte. „So läuft es nun mal auf dieser Welt“, entschuldigte die Regisseurin das Missgeschick, das vermutlich kaum einer bemerkt hätte.
Am Ende der Geschichte gab es doch noch eine überraschende Wendung. Denn der Komet Konrad bekommt beim Näherkommen seine eigene Sichtweise der Dinge („Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde. Voll Leben und voll Tod ist diese Erde“), was ihn spontan zu einer Kursänderung veranlasste.