Horb-Dettingen
Eine Geschichte, die für alle Zeiten gilt
Ensemble »das chamaeleon« glänzt bei Aufführung von »Jedermann« mit Spielfreunde, Textsicherheit und durchdachten Bühnenbildern
Schwarzwälder Bote 22. Juni 2015
von Peter Morlok
Reichtum und Geiz, der Tanz ums goldene Kalb »Mammon«, Hartherzigkeit und falsche Freundschaften, Tod und Endgültigkeit Seite an Seite mit der bitteren Erkenntnis, dass von Ruhm, Glanz und scheinbarer Beliebtheit nichts bleibt. Was zählt ist am Ende der Lebensreise nur, wie man dieses Leben gelebt hat.
Hugo von Hofmannsthal brachte schon vor über 100 Jahren alle diese Bausteine des Daseins zusammen und verpackte sie in das immer aktuell bleibende Theaterstück vom »Jedermann«.
Allein schon der geschickt gewählte Namen der Hauptfigur, der »Jedermann«, macht die Geschichte für alle Zeiten auf die sich ändernden Situationen adaptierbar. Die Dagobert Ducks dieser Erde, die Reichen, die auf ihren Geldsäcken sitzen und ihren Platz mit hartem Herzen verteidigen, findet man immer und überall. Der »Jedermann« könnte unser Nachbar sein.
Seit 1920 wird dieses Stück nun schon jedes Jahr in internationaler Starbesetzung während der Salzburger Festspiele aufgeführt, jedoch brauchen die Menschen, die in und um Horb herum wohnen, nicht so weit zu fahren, um mitzuerleben, wie sich »Jedermann« im Angesicht des Todes ändert. Ein Besuch am vergangenen Wochenende in Dettingen reicht vollkommen aus, um einen »Jedermann« zu erleben, der vom Ensemble »das chamaeleon « so dicht und lebensnah gespielt wurde, dass es auch bei nasskaltem Wetter geradezu ein großes Vergnügen war, diese Premiere vor der Schloss-Scheuer als Openair miterleben zu dürfen.
Der Tod (Spielleiterin Dorothee Jakubowski) hatte es sich eigentlich schon im Zuschauerraum gemütlich gemacht, als Gott ihm auftrug zu Jedermanns Haus zu gehen, um ihn vor das göttliche Gericht zu rufen.
»Jedermann« (Andrejas Schnell) lebt in Saus und Braus, kennt seinen Schuldnern gegenüber kein Erbarmen, die Sorgen seiner Mutter weist er zurück und verfällt immer mehr dem Geld und der Leidenschaft zu seiner Buhlschaft. Bis ihm eben eines Tages der Tod einen jähen Strich durch sein pralles Leben macht: Er fordert ihn auf, sich für den letzten Weg bereit zu machen.Und dies mitten in der Festgesellschaft, die mit ihm, dem reichen Vetter, feiert, tanzt und lacht. »Jedermann« fleht, ihm eine Frist zu gewähren, um sein »Rechenbuch« in Ordnung zu bringen und sich einen Freund zu suchen, der mit auf seine letzte Reise geht. Und der Tod gewährt ihm eine Frist von einer Stunde. Diese Stunde reicht, um festzustellen, dass er an dieser Lebenskreuzung von allen, die er Freunde nannte, verlassen wird. Mit einem Mann, der nur noch sein Leben hat, will niemand etwas zu tun haben und ihn schon gar nicht auf eine Reise ohne Wiederkehr begleiten. Sein Geld lacht ihn aus, sein Freund, der Gesell, macht sich auf und davon, nur von ganz weit her drang eine schwache Stimme der Hoffnung zu ihm. Es war die Stimme seiner »guten Werke«, die noch als Einzige zu ihm hielten.
Rosa Maria Paz, die auch die Buhlschaft spielt, gab dieser Rolle Tiefe und Ausdrucksstärke. Die »guten Werke« waren aber alleine zu schwach, um die Seele von Jedermann vor dem Zugriff des Teufels, dessen Rolle von Swen Richter grandios umgesetzt wurde, zu bewahren. Gemeinsam mit ihrer Schwester, dem »Glaube«, der von Magdalena Rau in erhabener Ruhe dargestellt wurde, schaffte sie aber das schier Unmögliche. Jedermann wurde bekehrt und konnte zusammen mit seinem wahren Freund, den »guten Taten«, vor das Gericht Gottes treten. Der Teufel musste am Schluss einsehen »Ein schöner Fall, ganz sonnenklar– doch in der Suppe doch ein Haar«.
Mit großem, lang anhaltendem und wohlverdientem Applaus bedankte sich das Publikum bei den wunderbaren Schauspielern, die in ihren jeweiligen Rollen geradezu aufzugehen schienen.
Spielfreude, Textsicherheit, überzeugende Darstellungen und bis ins letzte Detail durchdachte Kostüme und Bühnenbilder ergaben in der Gesamtsumme einen »Jedermann«, der sich vor keiner anderen Aufführung verstecken muss.
Und noch etwas kam dazu, worum die Starregisseure aus Salzburg »das chamaeleon« beneiden. Die Profis vom Dettinger »Adler« bedienten die Festgäste des »Jedermann« bei dessen Gelage live und in Farbe.
Fotos: Peter Morlok